Geschichte • Teil 3

 In Geschichte

Die Dorfgeschichte von Mironowka

von Maria Patzer

 

Ein klei­nes Dorf steht weit in Sibi­ri­en. Der Bir­ken­wald schützt das Dorf vor dem kal­ten sibi­ri­schen Wind. Im Som­mer wur­den frü­her in die­sem Wald Pil­ze, Brom­bee­ren, Erd­bee­ren gepflückt und die Kin­der hat­ten hier ihre Spiel­plät­ze. Ent­lang den zwei Stra­ßen stan­den schö­ne Häu­ser und in der Mit­te befand sich die Schu­le. Die lan­ge Stra­ße hat­te kei­nen Namen und die ande­re wur­de „Chu­tor“ (Ein­zel­ge­höf­te) genannt. Die Dorf­be­woh­ner waren fast alle Deut­sche, spra­chen alten deut­schen Dia­lekt und vie­le nann­ten sich Bele­me­ser, so wur­den die Nach­kom­men der deut­schen Bel­lag­we­scher Kolo­nien im Volks­mund „Bele­me­ser“ genannt. Nur weni­ge Fami­li­en, so wie Pan­zi­li­us, Roch, Wied, Esau, Peters spra­chen Hoch­deutsch. Es wur­de gele­sen, geschrie­ben und gesun­gen auf Deutsch. Die Dorf­be­woh­ner unter­hiel­ten sich auch mit den Deut­schen aus den Nach­bar­dör­fern Ilit­schöw­ka, Mirn­oe Pole und Sche­fer. Sie hiel­ten alle sehr zusam­men, waren flei­ßig und sehr hilfsbereit.

Vor 1920 gehör­te die­ser Land­be­sitz einem rus­si­schen Pome­schik (Guts­be­sit­zer) namens Miro­now und nann­te sich Chu­tor Miro­now. Auf die­sem Feld säte er sei­nen Rog­gen. 1923 wur­de das Land in Grund­stü­cke auf­ge­teilt und an deut­sche Fami­li­en aus ande­ren Dör­fern, haupt­säch­lich aus Halb­stadt, ver­ge­ben. Das Dorf wur­de neu besie­delt und über­nahm den Namen Mironowka.
Fami­li­en Lit­tau, Gals­ter, Reuß­wig, Schütz, Bau­er, Gra­bow­ski, Pan­zi­li­us, Wied, Roch, Buch­mül­ler, Becht­hold, Edel­berg, Schau­bert, Blok, Dercho, Pem­pell und vie­le ande­re fuh­ren mit den Pfer­den den gan­zen Som­mer aus Halb­stadt, Schön­feld und ande­ren Ort­schaf­ten dort­hin und bau­ten ihre Seml­jan­ki (Erd­hüt­ten). Schon im Herbst 1925 wur­den 12 Seml­jan­ki im Dorf bewohnt.

 

Das Haus von Iwan Bock steht noch heute.

Um die Seml­jan­ki zu bau­en hob man eine dicke Schicht aus dem Boden, nach der Grö­ße der zu bau­en­den Seml­jan­ki, bau­te die Wän­de aus Wie­sen­soden, über 1,5m hoch, ließ eini­ge Öff­nun­gen in den Wän­den für Tür und Fens­ter, stell­te auf zwei gegen­über lie­gen­den Sei­ten einen ca. 2.50 m hohen Pfos­ten und ver­band die­se Pfos­ten durch einen star­ken Bal­ken, den man Swo­lok nann­te und der die Spit­ze des Daches bil­de­te. Auf bei­den Sei­ten ver­band man nun die Wän­de mit die­sem Bal­ken mit Spar­ren von Rund­holz, bedeck­te die­se mit Bir­ken- und Espen­pfos­ten, Rei­sig und Stroh, beleg­te das Dach mit Wie­sen­soden und ver­schmier­te es mit Lehm – eine Mischung aus rotem Lehm, Stroh und Was­ser. So wur­de die Seml­jan­ka vor Unwet­ter geschützt. Da der Boden nie vor­her gepflügt wor­den war, waren die Wie­sen­soden im Innern durch die Wur­zeln fest ver­wach­sen. Außen, innen, die Decke und Fuß­bo­den wur­den auch mit Lehm beschmiert. Danach kam noch eine wei­te­re Schicht Lehm drauf, aber dies­mal aus wei­ßem Lehm und Pfer­de­mist, und wenn alles tro­cken war wur­de geweißt. Den Fuß­bo­den putz­te man mit einer Mischung aus Was­ser und Kuh­mist. Der Ofen kam in die Mit­te der Seml­jan­ki und teil­te sie in zwei Räu­men auf. Es gab auch vie­le Seml­jan­ki, die nur aus Lehm­zie­geln – einem Gemisch aus rotem Lehm, Sand, Stroh und Was­ser – ersetzt wur­den. (Bild: Seml­jan­ka aus Lehm­zie­geln Johann Bokk)

Die Seml­jan­ki waren alle gleich klein und hat­ten zwei, sel­ten bis drei Stu­ben. Eine Stu­be war das Schlaf­zim­mer, in dem die Kin­der zu zweit oder zu dritt, mit den Füßen gegen­ein­an­der, in einem Holz­bett auf einer Stroh­ma­trat­ze schlie­fen. Die ande­re Stu­be war die Küche mit Tisch, Geschirsch­rank, Stüh­len und Bank.
Vieh­stall wur­de an die Seml­jan­ka ange­baut und ver­bin­de­te sich mit Tür­ein­gang. So blieb in den har­ten sibi­ri­schen Win­ter die Wär­me in der Semljanka.
Die Ein­woh­ner­zahl stieg bis auf 179 Ein­woh­ner davon 84 Erwach­se­ne, 95 Kin­der und Jugend­li­che bis 18 Jah­re. In vie­len Seml­jan­ki wohn­ten zwei ver­wand­te Familien.
1926 stieg die Ein­woh­ner­zahl bis auf 241 – 114 Frau­en, 127 Män­ner, ins­ge­samt 240 Deut­sche und 1 Rus­se. So wur­de Miro­now­ka das Zen­trum mit eige­nem Dorf­so­wjets. Dazu gehör­ten 9 klei­ne Dör­fer ‑ Mirn­oe Pole (148 Einw.), Pod­ko­wy­row­ka (24 Einw.), Alek­san­d­row­ka (41 Einw.), Sche­fer (53 Einw.), Ewgra­fow­ka (106 Einw.), Obnow­le­nie (73 Einw.) und Chu­t­ors Legen­ko (7 Einw.), Gubernsk (60 Einw.) und Bul­ga­kov (6 Einw.).

Zu Begin der 20er Jah­ren war die Sowjet­s­macht sehr dar­an inter­es­siert für ihre eige­nen Ideen zu gewin­nen und zu die­sem Zweck wur­den natio­na­le Kul­tu­ren geför­dert. So ent­stan­den ers­ten Dorf­so­wjets. Dorf­so­wjets = Dorf­rat bestand aus Vor­sit­zen­den, Stell­ver­tre­tern und Sekretär.

Im Okto­ber 1925 auf der Sit­zung des Dorf­so­wjets wur­den Wil­helm Wied 28 J.; Leon­hard Buch­mül­ler 28 J.; Karl Kaschemir 49 J.; Chris­ti­an Schütz 45 J.; Johann Lit­tau 53 J.; Lidi­ja Wied 26 J.; Johann Bau­er 30 J.; Karl Gals­ter 49 J. und Wil­helm Schütz 35 J. zu der Wahl am 24. Janu­ar 1926 an das Sowjets der Arbei­ter- und Bau­ern als Abge­ord­ne­te vor­ge­schla­gen. Davon wur­den gewählt: Wil­helm Wied mit 33 Stim­men; Karl Gals­ter 32 Stim­men; Leon­hard Buch­mül­ler mit 31 Stim­men. Wil­helm Wied begann mit der Lei­tung als Vor­ge­setz­te oder auch Pred­sed­atel genannt, Karl Gals­ter als Stell­ver­tre­ter und Leon­hard Buch­mül­ler die Auf­ga­be des Sekretärs.

Alte Dorf­be­woh­ner, ca. 1936.

Ins Dorf sie­del­ten immer mehr deut­sche Fami­li­en. Vie­le, die auf der Haupt­stra­ße wohn­ten, bau­ten sich grö­ße­re Seml­jan­ki, dies­mal auf der neu­en Stra­ße die sich Chu­tor nann­te. Von 1931 bis 1935 stei­ger­te die Ein­woh­ner­zahl bis 368. Zu die­ser Zeit wohn­ten im Dorf Fami­li­en: Edel­berg, Schli­chen­maer, Tibe­l­i­us, Butz­bach, Krau­se, Bau­er, Pfaf­fen­guth, Wied, Eis­t­ner, Lit­tau, Schä­fer, Gra­bow­ski, Becht­hold, Pan­zi­li­us, Dell, Dercho, Rem­che, Reuß­wig, Buch­mül­ler, Mül­ler, Wall, Schau­bert, Roch, Schle­gel, Schütz, Peters, Ped­de, Pem­pell, Wei­ßen­bur­ger, Bokk, Neu­mann, Dall­ke, Kemm­ler, Rei­ter, Gar­ke, Schi­kurs­ka­ja. (Bild: Alte Dorf­be­woh­ner, ca. 1936)

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