Geschichte • Teil 2

 In Geschichte

Geschichte des Dorfes und der Gemeinde


Geden­ke der vori­gen Zeit bis daher und betrach­te, was er getan hat an den alten Vätern. Fra­ge dei­nen Vater, der wird dir's ver­kün­di­gen, dei­ne Ältes­ten, die wer­den dir's sagen. (5. Mose 32,7)
Gebt unser'm Gott allein die Ehre! (5. Mose 32,3)
Und geden­ke alles des Weges, durch den dich der HERR, dein Gott, gelei­tet hat. (5. Mose 8,2)

Im Jah­re 1924, etwa 20 km nörd­lich der Trans­si­bi­ri­schen Eisen­bahn in Omsk-Gebiet wur­de das Dorf mit dem Namen Miro­now­ka gegrün­det. Es könn­te sein, daß meh­re­re gar nicht wis­sen, war­um es so genannt wor­den ist?
In der Zeit des Zaren wur­de das Land In Sibi­ri­en den Kosa­ken – Offi­zie­ren in Besitz abge­ge­ben. Kosa­ken im Unter­schied mit ande­rer Bevöl­ke­rung hat­ten beson­de­re Pri­vi­le­gi­en. Mit dem Wech­seln der Macht in Ruß­land hat das neue Sowje­ti­sche Regime ihnen das Recht ent­zo­gen und das Land beschlag­nahmt und, mach­te es zum Staats­ei­gen­tum. So auch das Land, wo unser Dorf ent­stand, gehör­te damals dem Kosa­ken Miro­now, So wur­de nach dem Namen des ehe­ma­li­gen Land­be­sit­zers dem Dor­fe die­ser Name gege­ben: Mironowka.

Von den ers­ten Ein­woh­ner waren: Johann Lit­tau, Karl und Lehn­hardt Buch­mül­ler, Wil­helm Schütz, Reis­wich Konrd­rath und ande­re Siedler.
Auch mein Groß­va­ter und mein Vater haben sich ent­schlos­sen 1924 über­zu­sie­deln nach Moska­len­ki. Da wur­de zu die­ser Zeit Miro­now­ka ange­zeigt: zwi­schen den Wald und Feld stand ein klei­ner Pfos­ten mit dem Schild „Miro­now­ka“. So kamen sie dahin. Da waren aber noch kei­ne Häu­ser, es wur­den erst die Hof­plät­ze ver­teilt und zuge­mes­sen. So kamen auch meh­re­re gläu­bi­gen Fami­li­en. Da ging die Arbeit am Häu­sern bau­en los.
Von den ers­ten Stun­den an haben unse­re Vor­fah­ren sich um das geist­li­che Leben geküm­mert. Die Got­tes­diens­te wur­den in den Anfän­gen in Pri­vat­häu­sern abge­hal­ten. Man sorg­te auch um das Nach­kom­men. Bru­der Gals­ter war der ers­te Leh­rer in Miro­now­ka. Er hat­te bei sich Zuhau­se die Schu­le gehabt und auch die Sonn­tags­schu­le gelei­tet. Spä­ter ist die Fami­lie Gals­ter weg­ge­zo­gen, und die Schwes­ter Wied Emi­lie über­nahm die geist­li­che Arbeit mit den Kindern.

1926 wur­de das Ver­samm­lungs­haus gebaut. Das Haus stand, da, wo der alte Klub stand. Es war schon eine Gemein­de, aber die Zahl der Gemein­de­glie­der ist mir ent­fal­len. Alle Ein­woh­ner des Dor­fes (Gläu­bi­ge und auch Ungläu­bi­ge) besuch­ten die Got­tes­diens­te. Durch den Hei­li­gen Geist getrie­ben und mit Got­tes Hil­fe hat Br. Wil­helm Schütz ein Chor gegrün­det, und hat eine lan­ge Zeit den Chor gelei­tet, so unge­fähr bis zum Jahr 1929. Dann war Br. Gra­bow­ski Chris­ti­an ein paar Mona­ten Chor­füh­rer. Von Br. Gra­bow­ski über­nahm die Arbeit Br. Hein­rich Schütz, und lei­te­te den Chor bis 1931.

1927 war ein gro­ßes Tauf­fest im Dorf Hoff­nungs­tal. Da wur­den auch von der Gemein­de Miro­now­ka meh­re­re getauft. So schenk­te der Herr sein Segen: das Wort Got­tes wur­de reich­lich ver­kün­digt, vie­le konn­ten Frie­den mit Gott fin­den und die Gemein­de wuchs und nahm zu. Inzwi­schen der Zuzug neu­er Sied­ler brach nicht ab. Immer mehr neue Häu­ser ent­stan­den, immer mehr Land wur­de urbar gemacht. Ab 1931 durch stän­di­gen Zuzug der neu­en Sied­ler wur­de mit dem Aus­bau der zwei­ten Stra­ße (heu­ti­gen Chu­tor) begon­nen. Doch den fried­li­chen Scha­fen soll­te bald ein Ende gesetzt wer­den. Unheil­dro­hen­de Wol­ken des neu­en Regimes brau­ten sich zusam­men und über­zo­gen das gan­ze Land, und auch Mironowka.

Am Ende der 20 Jah­ren wur­de die Schu­le von der Kir­che getrennt. Schon bahn­ten sich die schreck­li­chen drei­ßi­ger Jah­re an ... Kol­lek­ti­vie­rung – war ein wei­te­res Fremd­wort der neu­en Zeit: alles wur­de in einen Topf gewor­fen. Und nach dem Sprach­ge­brauch der Bol­sche­wi­ken geschah das alles "frei­wil­lig". Die ers­te Beu­te des neu­en Regimes waren: Alex­an­der Pem­pel, Hein­rich Schütz und Johann Buch­mül­ler. Von die­sen drei­en kam Johann Buch­mül­ler nie mehr zurück. Das war im Herbst 1934. Etli­che Mona­te spä­ter auf Weih­nach­ten war die Ver­samm­lung nicht mehr im Bet­haus son­der bei Br. Johann Lit­tau, weil es gaben Zei­ten, daß das Ver­samm­lungs­haus von Orts­be­hör­de wur­de abge­schlos­sen und die Gläu­bi­gen ver­sam­mel­ten sich mal hier, mal da, wenn es auch oft Stö­run­gen und Stra­fe gab. Ich durf­te noch auf Christ­abend ein Bibel­vers Lk. 2,10–14 auf­sa­gen, als ein Gedicht.

Br. Wil­helm Mül­ler war als Dia­kon in der Gemein­de, aber bis 1933 war die Gemein­de ohne Orde­nier­ten Ältes­te. Gott sah die Not der Gemein­de und sand­te Br. Abram Löwin, der die Lei­tung der Gemein­de über­nahm. Bru­der Löwin war vom Dorf Maslja­now­ka, das von Lju­bi­no sie­ben Kilo­me­tern lag. Er war für Miro­now­ka und auch für Frie­den­feld (Mirn­oe Pole) zustän­dig, wohn­te aber in Miro­now­ka. 1937 wur­de Br. Abram Löwin ver­haf­tet und ins Gefäng­nis gesteckt, und ist nicht mehr zurück gekom­men. Dann wur­de das Bet­haus von Athe­is­ten abge­nom­men und sie mach­ten einen Klub dar­aus. Und so ging alles wei­ter und die geist­li­che Nacht tritt her­ein, da man nicht mehr wir­ken konn­te. Aber der Herr ver­läßt die Sei­nen nicht und läßt das Feu­er des Geis­tes nicht erlö­schen. So hat­te es auch in vie­len Fami­li­en wei­ter geglüht. Aber die Schre­cken soll­ten sich meh­ren; in den Jah­ren 1937–1938 erreich­ten sie ihren Höhe­punkt in den Repres­sa­li­en der unschul­di­gen Bevöl­ke­rung. Die Män­ner (Väter und Söh­ne) wur­den nahe­zu alle ver­haf­tet – und, wie sich spä­ter her­aus­ge­stellt hat, zum größ­ten Teil erschos­sen. Allein aus Miro­now­ka wur­den 15 Män­ner als Volks­fein­de beschul­digt und ver­haf­tet. Buch­mül­ler Karl war der Ein­zi­ge, der nach 10 Jah­ren zurückkam.

Was unser Volk in jenen Jah­ren durch­lebt hat, ist nicht ein­fach in Wor­ten zu klei­den. Wir Jün­ge­ren sind kaum imstan­de, sich in die dama­li­ge Lage unse­rer Eltern und Groß­el­tern zu ver­set­zen. Sol­che Schreck­nis­se sind nur mit Gebet im Ver­tau­en auf Gott und im fes­ten Glau­ben an Ihn durch­zu­ste­hen. Die armen Men­schen kamen in jener Zeit nicht zum Auf­at­men. Noch waren die grau­sa­men Repres­sa­li­en nicht völ­lig abge­flaut, als der Zwei­te Welt­krieg über Euro­pa ein­brach – mit dem unsäg­li­chen Elend und unzäh­li­gen Opfern.

Was in der Vor­kriegs­zeit nicht bereits gekom­men war, das ward jetzt in der Kriegs­zeit voll­endet: der Rest der Män­ner samt den allein­ste­hen­den Wit­wen, Frau­en und Mäd­chen wur­den jetzt abge­holt und in die Tru­dar­mee gesteckt.

Es ist eine erschüt­tern­de Zahl: 74 Män­ner und 32 Frau­en, ins­ge­samt 106 Ein­woh­ner des Dor­fes, an denen wir uns erin­nern konn­ten. Von ihnen sind 7 Män­ner und 1 Frau nicht zurückgekommen.

Das Leben im Dorf wäh­rend der Kriegs­zeit war völ­lig lahmgelegt.

Nach Kriegs­en­de kehr­ten die Leu­te lang­sam zurück. All­mäh­lich wur­de das Leben wie­der in die Glei­se gelenkt, wenn auch von Armut, Hun­ger und Blö­ße beglei­tet. Eine Ver­bes­se­rung der wirt­schaft­li­chen Lage trat erst nach Jah­ren ein; die Fol­gen des Krie­ges muß­ten über­wun­den wer­den. Aber die Sta­li­nis­ti­sche Regie­rung hat immer noch die "Säu­be­rungs­ak­tio­nen" durchgeführt.
Erst in den fünf­zi­ger Jah­ren (grund­sätz­lich nach dem Sta­lins Tod) hat sich die Lage ent­spannt, wo das Leben all­mäh­lich bes­ser wurde.

Der neue Anfang. Eine geist­li­che Erwe­ckung fängt schon im Jah­re 1952 an. Der Geist Got­tes beweg­te die Her­zen der alten Brü­der und sie fin­gen an sich zu ver­sam­meln und so ging es wei­ter, aber im gehei­men. 1954 kam Bru­der Karl Gra­bow­ski zu gast von Osin­ni­ki Keme­ro­wo Gebiet, und erzähl­te, das es bei ihnen eine gro­ße Gemein­de gibt. Auf das wur­den unse­re alten Brü­der dreis­ter und fin­gen an bestän­dig die Got­tes­diens­te durch­zu­füh­ren, aber immer noch geheim. So wur­de das geist­li­che Feu­er, das in Her­zen unse­rer Väter und Müt­ter glüh­te, mit neu­er Kraft ent­flammt. Nach­dem dann regel­mä­ßi­ge Got­tes­diens­te wie­der erlaubt waren, kamen immer 'mehr Sün­der zum Glau­ben. Die Mit­glie­der­zahl wuchs von Jahr zu Jahr. In der Nacht den 10 Juni 1956 (das war Sams­tag) wur­de das ers­te Tauf­fest in Moska­len­ki durch­ge­führt. Da wur­den 10 See­len getauft – 9 von Miro­now­ka und 1 von Novoalex­an­d­row­ka. Br. Golod­nyj hat­te die Tau­fe durch­ge­führt. Das war dem Feind natür­lich ein Dorn im Auge, und am Mon­tag­abend wur­den die Brü­der her­aus­ge­ru­fen von den Athe­is­ten und Obrig­keit. Und so ging die Ver­fol­gung wei­ter. Die Brü­der wur­den öfter raus­ge­ru­fen in den Kreis und mit Geld­stra­fe belegt. Zur der Zeit ver­sam­mel­ten wir uns in den Häu­sern der Brü­der und Geschwis­ter. Man muß­te jedes Mal nach dem Got­tes­dienst fra­gen, wo und wer die Ver­samm­lung zu sich nimmt. Und wenn’s auch so schwer und gefähr­lich war, aber Gott sei Dank, es fan­den sich immer wie­der Geschwis­ter, die sich und ihre Häu­ser zum Opfer für die­sen Dienst gaben.

1954, da die Got­tes­diens­te regel­mä­ßig durch­ge­führt wur­den, brach­ten die Eltern ihre Kin­der auch zur Ver­samm­lung. Aber dann hat­te sich die Schu­le dage­gen gestellt. Auch die Obrig­keit und das, gan­ze athe­is­ti­sche Sys­tem empör­ten sich gegen die­ses Werk. Aber Gott sei Dank, daß Er die sei­nen nicht allein läßt im Kampf, son­der Er kämpf­te für uns. Und so, mit Got­tes Hil­fe, ging das Werk weiter.
Im Jah­re 1972 war die Ver­samm­lung in den Häu­sern kon­kret ver­bo­ten. Jetzt waren wir gezwun­gen einen bestän­di­gen Raum zu suchen. Und Gott öff­ne­te das Herz der Geschwis­ter Ger­hard und Eli­sa­beth Esau. Sie hat­ten auf ihrem Hof ein Haus, in dem sie frü­her wohn­ten. Das gaben sie der Gemein­de. Das Haus wur­de zurecht­ge­macht (reno­viert) und da ver­sam­mel­ten wir uns bis an das Jahr 1989 (17 Jahre).
Der Samen des Wor­tes Got­tes, der frü­her in die Her­zen der Kin­der gestreut wur­de, ging lang­sam auf, und so im Jah­re 1973 konn­ten wir, aus Gna­de Got­tes, zwei jun­ge See­len (Eli­sa­beth Gra­bow­ski und Lil­li Lit­tau) tau­fen und in die Gemein­de auf­neh­men. Etwas spä­ter haben auch ande­re Jugend­li­che die Got­tes­diens­te ange­fan­gen zu besu­chen. Br. Jakob Esau wur­de von dem Bru­der­rat gestellt, als Ver­ant­wort­li­cher für die Jugend und auch für die Geschwis­ter, die die Kin­der­stun­de durch­ge­führt haben. Es sind vie­le Gebe­te­te für Söh­ne und Töch­ter zu Gott empor gestie­gen und die waren nicht ver­ge­bens. Im Jah­re 1975 auf einem Jugend­got­tes­dienst schenk­te Gott sei­ne Gna­de in dem, daß 18 Jun­ge See­len, die den Namen des Herrn anrie­fen, durf­ten bei Ihm die Ver­ge­bung der Sün­den bekom­men. Aber Ver­su­chun­gen, Dro­hun­gen und Geld­stra­fe gab es immer wieder.

1981 nach einem Mor­gen­sonn­tags­got­tes­dienst, als die Kin­der zur Kin­der­stun­de zurück blie­ben, kamen die Fein­de Got­tes und tra­fen sie bei die­sem Dienst an. Die Kin­der wur­den nach Hau­se geschickt, aber die Schwes­ter, die die Kin­der­stun­de lei­te­te wur­de ins Ver­hör genom­men. Jetzt hat­ten sie wie­der eine Ursa­che die Gläu­bi­gen zu beschul­di­gen und zu ver­fol­gen. Noch in der­sel­ben Woche wur­de das Haus des Ältes­ten und alle Hof­ge­bäu­de durch­sucht und die gan­ze geist­li­che Lite­ra­tur weg­ge­nom­men. Die gericht­li­chen Ver­hö­re wur­den ange­fan­gen. Es wur­den sogar die Kin­der ins Ver­hör genom­men. Die gericht­li­che Unter­su­chung zog sich von 5 Mai bis Sep­tem­ber. Dann wur­de die­se Sache been­det, aber Ruhe gab es nicht und gibt's auch nicht hier auf Erden. Der Feind der Men­schen­see­le läßt nicht nach und der Kampf des Glau­bens geht weiter.
Aber auf der ande­re Sei­te... Dort, dort in jener Fer­ne liegt das Land mei­ner Ruh.
(Lied 280).

Erst seit Mit­te der 80-ger Jah­re genos­sen wir eine rela­ti­ve Glau­bens­frei­heit. Was frü­her undenk­bar war, ist jetzt Rea­li­tät gewor­den. Gleich­zei­tig öff­ne­te Gott die Türen zwi­schen Osten und Wes­ten. Und in Febru­ar 1988 ist die ers­te Fami­lie aus Miro­now­ka nach Deutsch­land aus­ge­wan­dert. 26 Dezem­ber 1989 fuh­ren die Geschwis­ter Kemm­ler und Krau­se nach Deutsch­land, und schenk­ten der Gemein­de ihr Haus und alle Gebäu­de, die auf dem Hof waren. Dann ging die Arbeit an dem Hau­se los: es wur­den die inne­re Wän­de raus­ge­nom­men, so daß von vier Zie­mer ein Raum gab, der groß genug für die Gemein­de war. Gott gab den Brü­der und Schwes­tern so ein Geist und Ernst an der Arbeit, daß zu Neu­jahr die Gemein­de sich da ver­sam­meln konn­te und das Fes­te fei­ern. Im Früh­ling hat die Gemein­de zusätz­li­che Räu­me (Foy­er und neu­en Heiz­raum) ange­baut. Auch in die­sem Bet­haus hat die Gemein­de vie­le segens­rei­che Stun­den erlebt. Auch hier unter dem Schal­le des Wor­tes Got­tes durf­ten die Sün­der zu Gott sich bekeh­ren und ein neu­es Leben mit Jesus Chris­tus anfangen.

Und von sei­ner Fül­le haben wir alle genom­men Gna­de um Gna­de. Joh 1,16

Wie Gott der Herr unser Volk ein­mal nach Ruß­land führ­te, so läßt Er es jetzt wie­der­keh­ren – zurück in die his­to­ri­sche Heimat.

Möge Gott uns auch wei­ter­hin im Glau­ben bewah­ren – auch unter den Ver­hält­nis­sen Deutsch­lands, wo wir wie­der­um ganz ande­ren Ver­su­chun­gen aus­ge­setzt sind. Ande­rer­seits sind wir Gott sehr dank­bar, daß wir in der Frei­heit und in einem für uns noch nie da gewe­se­nem Wohl­stand leben dürfen.

Mögen wir die GÜTE und LIEBE GOTTES an uns nicht auf­hö­ren weiterzuschätzen!
Mögen wir nie ver­ges­sen, was GOTT an uns Gro­ßes getan!
IHMGOTT allein gebüh­ret EHRE und DANK von Ewig­keit zu Ewigkeit!


Die Haut unserer Hände riss während der Arbeit bis auf die Knochen

von Maria Patzer


Auf 11 Jah­re in die sta­li­nis­ti­schen Ver­nich­tungs­la­ger eingesperrt.

Am 28. März 1942 wur­den fast alle Män­ner aus dem Dorf Miro­now­ka, des Krei­ses Moska­len­ki bei Omsk in Sibi­ri­en, in die Tru­dar­mee ein­ge­zo­gen. Am glei­chen Tag ver­ab­schie­de­te sich unser Vater, Johann (Johan­nes genannt) Buch­mül­ler von sei­nem Vater (Len­hard Buch­mül­ler) und Bru­der Len­hard. Die Schwes­ter Mar­ta (18 Jah­re) wur­de im Som­mer ein­ge­zo­gen. Mit der Mut­ter blie­ben 7 Kin­der: Johan­nes, Jorg 12 Jah­re, Samu­el 10, Abram 8, Maria 4, Olga 2 Jah­re alt und Emma, die im Win­ter 1942 im alter von 3 Mona­ten ver­starb. Schon mit 13 Jah­ren arbei­te­te Vater als Tage­löh­ner und jetzt, als Ältes­ter, erle­dig­te er und die Geschwis­ter alles auch im Haushalt.

Am 7. Okto­ber 1942 erließ das Staat­li­che Ver­tei­di­gungs­ko­mi­tee den Beschluss Nr. 2382ss „Über eine zusätz­li­che Mobi­li­sie­rung von Deut­schen für die Volks­wirt­schaft der UdSSR“. In die Tru­dar­mee wur­den für die Kriegs­zeit Män­ner im Alter von 15 bis 55 und Frau­en im Alter von 16 bis 45 Jah­ren ein­be­ru­fen. So wur­de auch Vater, kurz nach sei­nem 15. Geburts­tag, im Novem­ber, zur Mobi­li­sie­rung vorgeladen.

In sei­nen Erin­ne­run­gen lese ich: An die­sem Tag war es sehr kalt. Schon am Sonn­tag berei­te­te sich mei­ne Mut­ter auf den Basar vor. Sie nahm einen Sack Kar­tof­feln, leg­te ihn auf den Schlit­ten und ging 18 km zu Fuß nach Moska­len­ki. Sie ver­kauf­te die Kar­tof­feln und kauf­te mir von dem Geld Filz­stie­fel. Über die­se Stie­fel freu­te ich mich sehr, einen Pelz und eine Müt­ze besaß ich schon. Die Mut­ter trock­ne­te Zwie­back, berei­te­te mir Grüt­ze, Boh­nen und Son­nen­blu­men­ker­ne vor.

Es war der 1. Dezem­ber. Wir wur­den in die Vieh­wag­gons gela­den und fuh­ren los. Ich beob­ach­te­te durch die Wag­gon­rit­zen wei­te­re Trans­por­te, die wahr­schein­lich auch in die­sel­be Rich­tung fuh­ren wie wir. Wir wuss­ten nicht, wo wir hin­fuh­ren und was uns erwar­ten wür­de. Unter­wegs, beka­men wir manch­mal Brot, ein Schöpf­löf­fel Sup­pe. Das Brot soll­te für den gan­zen Tag aus­rei­chen. Vie­le hat­ten Son­nen­blu­men­ker­ne dabei, die den Hun­ger still­ten. Was­ser zum Trin­ken stand bereit in der Ecke des Wag­gons. Auf der gan­zen Län­ge des Wag­gons befan­den sich zwei­stö­cki­ge Holz­prit­schen. Im Wag­gon stand ein klei­ner Ofen, der mit Holz geheizt wur­de. Es gab auch eine Stel­le, die mit Stoff abge­trennt war, die ein Loch im Boden hat­te, die auch für die klei­ne­ren Geschäf­te dien­te. Abge­spült wur­de mit Was­ser, dies lief nach außen auf die Gleise.

Die Fahrt dau­er­te zwei Wochen. Wir kamen im Bezirk Molo­to­wo (heu­te Perm), Stadt Polo­win­ki, an. Hier wur­den wir in Bara­cken unter­ge­bracht und dem Schacht Nr. 4 zuge­teilt. In unse­rer Bara­cke waren es ca. 70 Män­ner, alles nur Deut­sche. Mei­ne Arbeit bestand dar­in, Koh­le aus­zu­la­den. Der Tages­ab­lauf gestal­te­te sich: Wecken, her­un­ter von den Prit­schen, hin­ein in die Stie­fel, Abmarsch in den Spei­se­saal, Essen­emp­fang, Sam­meln vor dem Tor, Abmarsch zur Arbeit. Am Ende unse­rer Schicht, die 8 und 10 Stun­den dau­er­te, wie­der zurück in das Lager, Essen­emp­fang. Wir erhiel­ten am Tag 800 g Brot und etwas Sup­pe, die wir „Bal­an­de“ nann­ten. Sie wird aus Mehl, Hir­se, Grau­pen gekocht und es waren ein paar Kar­tof­fel­stück­chen zu sehen. Dazu beka­men wir noch 2–3 Löf­fel Kar­tof­fel­pü­ree oder ein Stück­chen Fisch. Die­je­ni­gen, die direkt im Schacht arbei­te­ten, beka­men je 1000–1200g Brot. Ich hat­te stän­dig Hunger.

Im März 1943 bin ich mit A. Pem­pel und I. Stein­borm aus der Zone geflo­hen. Aber an der Sta­ti­on Gubacha wur­den A. Pem­pel und I. Stein­borm von der Patrouil­le ver­haf­tet. Ich hat­te mich im Zug­wag­gon ver­steckt, der Zug fuhr los und ich konn­te nicht mehr hin­aus. Auf der Sta­ti­on Lis­va wur­de auch ich ver­haf­tet. Nach dem Ver­hör wur­de ich in einem Putz­raum ein­ge­sperrt. In der Nacht kam die Patrouil­le. Sie waren sehr betrun­ken, einer von ihnen sag­te: „Mein Bru­der tötet die Faschis­ten im Krieg und ich brin­ge die Deut­schen hier um. Das geht schnel­ler, dann gewin­nen wir schnel­ler den Krieg“. Sie zerr­ten mich aus dem Raum und schlu­gen mich. Ich weiß nicht mehr, wie viel Zeit ver­ging, da ich erst wie­der hin­ter einem Stall im Schnee zu mir kam. Mein Gesicht war fast nicht mehr zu erken­nen, außer­dem hat­te ich star­ke Bauch- und Rückenschmerzen.
Der Nat­schal­nik ver­si­cher­te mir, dass die Bei­den bestraft wür­den. Er gestat­te­te mir, in den Laden zu gehen, wo ich etwas zu Essen kau­fen konn­te. Ich tausch­te mei­nen Gür­tel gegen 200gr. Brot – mein Essen für die nächs­ten drei Tage. Einer von der Patrouil­le, der, der mich geschla­gen hat­te, soll­te mich wie­der zurück in den Schacht Nr. 4 brin­gen. Im Zug traf mein Beglei­ter einen Bekann­ten. Er erzähl­te ihm, was geschah, wor­auf sein Bekann­ter ant­wor­te­te: „In die­sem Schacht arbei­ten vie­le Deut­sche, pass auf, dass sie sich nicht an dir rächen. Gib ihn lie­ber im Büro zur Vor­un­ter­su­chungs­haft für Sträf­lin­ge (KPS) ab.“ So geschah es auch.
Auf die Fra­ge, wie­so ich so ver­letzt sei, ant­wor­te­te mein Beglei­ter, dass ich ver­sucht hät­te zu flie­hen und außer­dem noch Wider­stand geleis­tet hät­te. In mei­ner Abwe­sen­heit gab er mein Geburts­jahr mit 1926 an. Damit wur­de ich als Voll­jäh­ri­ger behan­delt. Da ich kei­ner­lei Unter­la­gen besaß, konn­te ich auch nicht bewei­sen, dass ich im Jahr 1927 gebo­ren war. So kam ich ins Gefäng­nis in Sali­kamsk. Nach zwei Mona­te wur­de ich die Stadt Molo­to­wo gebracht. In die­sem Gefäng­nis fra­ßen uns die Läu­se fast auf. Unse­re Klei­der kamen in die so genann­te Durch­bra­tung, das heißt, sie wur­den nicht gewa­schen, son­dern nur unter sehr hoher Tem­pe­ra­tur gedämpft. Nach die­ser Pro­ze­dur konn­te ich mei­nen Pelz kaum wie­der erken­nen, so dass ich den inne­ren Teil raus­neh­men muss­te. Mir blieb also nur noch der obe­re Teil. Da ich in der Zel­le auf dem Zement­bo­den schla­fen muss­te, habe ich den Pelz als Matrat­ze benutzt und die Müt­ze dien­te mir als Kopf­kis­sen. Mit­te Juli muss­te ich zum Kriegs­tri­bu­nal. Da wur­de beschlos­sen, wenn die Durch­prü­fung fest­stell­te, dass ich noch nicht voll­jäh­rig bin, dann wer­de ich nach sechs Mona­ten ent­las­sen. So geschah es auch. Ich wur­de am 14. Sep­tem­ber entlassen.

Johan­nes Buch­mül­ler im Lager an der Koly­ma, 1949.


1945 – Ende des Krie­ges.
 Wir durf­ten nicht nach Hau­se, son­dern wei­ter­hin Kno­chen­ar­beit. Das Essen wur­de immer schlech­ter. Wir haben aus einem Pri­vat­gar­ten Kar­tof­feln gestoh­len. Wir hat­ten gera­de drei bis vier Kar­tof­felnstau­den aus der Erde geris­sen, als auch schon der Besit­zer des Gar­tens auf­tauch­te. Ich wur­de fest­ge­nom­men, mein Freund konn­te flie­hen. Im Gefäng­nis in Sali­kamsk wur­de ich nicht ein­mal ver­hört. Im Sep­tem­ber wur­de ich zu zehn Jah­ren Gefäng­nis ver­ur­teilt. Mei­ne Mut­ter schick­te mir häu­fig Tabak, den ich gegen ande­re Din­ge tau­schen konn­te. Da ich selbst Nicht­rau­cher war, füll­te ich Streich­höl­zer-Päck­chen mit Tabak und tausch­te dies gegen 400g Brot ein. Ich mach­te ein Geschäft mit einem Dieb: wo ich nach dem Abend­essen, noch ein­mal in die Kan­ti­ne noch einen Tel­ler Kascha mit Öl bekam. Das waren mei­ne guten, sat­ten Tage.
Nach der Unter­su­chungs­kom­mis­si­on wur­den wir aber­mals in ein ande­res Lager ver­legt. Wohin es dies­mal gehen soll­te, wuss­te kei­ner. Es gab so vie­le Ver­nich­tungs­la­ger in Russ­land, in einem die­ser Lager muss­te es ja auch für uns Platz geben. Wir wur­den auf ein Schiff gebracht und fuh­ren auf dem Fluss Kama bis zur Stadt Molo­to­wo, wo wir 15 Tage in Qua­ran­tä­ne ver­brin­gen muss­ten. Wir hat­ten star­ken Hun­ger und stän­di­gen Durst. Danach wur­den wir in einen Vieh­wag­gon gela­den. Die­ser Vieh­wag­gon wur­de an einen Zug, der aus Lenin­grad-Mos­kau kam, gehängt. Wir fuh­ren wei­ter nach Swerd­lowsk, Omsk. Manch­mal stand der Zug tage­lang. An jeder Hal­te­stel­le wur­de ein neu­er Wag­gon vol­ler Men­schen ange­hängt; nie­mand wuss­te, wohin die Rei­se ging. In der Stadt Nowo­si­birsk konn­ten wir uns end­lich in der Ban­ja waschen. In Kras­no­jarsk und Irkutsk wur­den wie­der Wag­gons, voll besetzt mit Men­schen, ange­hängt. In der Stadt Kom­so­mol­sk am Amur fuhr unser Zug schließ­lich in eine Sack­gas­se, dort konn­ten wir uns wie­der waschen. Die Klei­der wur­den auch gewa­schen, da wir vol­ler Läu­se waren. Aber anschlie­ßend kratz­ten wir uns noch mehr als vor­her. Es fühl­te sich an, als ob die Läu­se uns auf­fres­sen würden.

Anschlie­ßen kamen wir im Hafen Wani­no an. Hier gab es kaum Häu­ser, dafür sehr vie­le Zel­te. Vor dem Tor stand ein Wach­dienst mit Knüp­pel, zwei Wach­leu­te führ­ten das Kom­man­do. Auf einem Befehl hin, muss­ten wir uns set­zen und sie began­nen, uns zu mus­tern. Alle, die ver­däch­tig aus­sa­hen, muss­ten auf eine Sei­te, wer wie ein Dieb aus­sah, auf die ande­re. Die Übri­gen muss­ten sich auf einem mit Draht umzäun­ten Platz sam­meln, der „Bahn­hof“ hieß. Es gab hier sehr vie­le Krüp­pel, vie­le Häft­lin­ge ohne Hän­de oder Bei­ne. Ich frag­te sie, war­um sie sich zum Krüp­pel gemacht haben und sie ant­wor­te­ten: „Lie­ber ein Krüp­pel, als tot.“

In die­sem Lager herrsch­ten eige­ne Regeln: Hier soll­te es kei­ne Dieb­stäh­le geben, die Die­be soll­ten einen Eid schwö­ren, dass sie nicht mehr steh­len wür­den. Die Lager­re­gel lau­te­te, das jeder Dieb zum Eisen­schild gehen, dar­auf schla­gen, sich anschlie­ßend hin­knien und mit dem Kopf die Erde berüh­ren soll­te. Nach dem geleis­te­ten Eid wur­den die Die­be dann „Suka“ genannt. Was sind Suki: fau­le Jun­gen, die sich den Nat­schal­nik ver­kauft haben, die in die Diens­te der Gefäng­nis- oder Lager­ver­wal­tung trä­ten. Sie waren Fein­de der „ehr­li­chen“ Die­be. Die­be und „Suki“ konn­ten nicht zusam­men unter einem Dach leben, da sie sich sonst gegen­sei­tig umbrin­gen wür­den. Die­se Regeln, die von dem Lager­vor­sit­zen­den und zwei Die­ben ein­ge­führt waren, herrsch­ten schon seit zwei Jah­ren. In dem Lager befan­den sich ca. 2000 Sträf­lin­ge. Das Essen war nicht bes­ser als im vor­he­ri­gen Lager: mor­gens Brot, mit­tags und abends Kascha. Löf­fel gab es nicht, geges­sen wur­de ent­we­der mit den Fin­gern oder mit selbst her­ge­stell­ten Löf­feln aus Holz.
Eines Tages herrsch­te hier Revo­lu­ti­on. Der Nat­schal­nik die­ses Lagers wur­de getö­tet. Einer der Wach­män­ner hack­te sich die Hand ab. Der ande­re ver­stüm­mel­te sich sein Bein. Spä­ter wur­den die Bei­den auch getö­tet. Wir wur­den wie­der auf das Schiff geführt. Hier beka­men wir Brot und ver­sal­zen­den Fisch zu essen. Das Trink­was­ser, drei Fäs­ser, waren schnell leer. Alle bet­tel­ten nach Was­ser. Man­che leck­ten das Was­ser von den ver­ros­te­ten Wän­den ab. Wäh­rend der Zeit an Bord des Schif­fes plag­ten uns so vie­le Läu­se, dass wir nur damit beschäf­tigt waren, uns zu kratzen.
Wir erreich­ten die Stadt Mag­adan. Es lag Schnee und war sehr kalt. Nach der Ent­lau­sung und Ban­ja rasier­ten sie uns eine Glat­ze. Wir beka­men alle die gleiche
Klei­dung – war­me Wat­te­ho­se, Wat­te­ja­cke, Unter­wä­sche, Hemd, Stie­fel­lum­pen. Da es kei­ne war­men Filz­stie­fel gab, wur­den war­me Wat­te­stie­fel an uns ver­teilt. Spä­ter beka­men wir dann Filz­stie­fel. Nach der Unter­su­chungs­kom­mis­si­on, wur­de ich zusam­men mit 28 ande­ren Män­nern in den Ort Tenk­in­ski in einem For­schungs­ge­biet zuge­teilt. Die Lager­häu­ser waren hier aus Holz. Die unge­ho­bel­ten Bal­ken waren ein­fach zusam­men­ge­fügt und die Zwi­schen­räu­me mit Moos aus­ge­füllt. In man­chen Häu­sern gab es kein Fuß­bo­den ein­fach nur nack­te, gefro­re­ne Erde. Als Ofen dien­te ein eiser­nes Fass. Ich hat­te mir aus Holz eine Schlaf­ecke ein­ge­rich­tet, indem ich auf das dicke Holz ein paar dün­ne Äste leg­te. Im Som­mer konn­te ich dann mei­nen Matrat­zen­sack, den jeder stän­dig bei sich trug, mit Gras fül­len. Spä­ter kauf­te ich einem Bekann­ten zwei alte zer­ris­se­ne Wat­te­ja­cken ab und näh­te sie zusam­men. Das war mei­ne Decke. Die ande­ren lach­ten mich zwar aus, aber ich woll­te bei die­ser Käl­te nicht erfrie­ren. Mei­ne schmut­zi­ge Klei­dung zog ich nie aus. Zum Schla­fen schlüpf­te ich, wie ein Hund, ein­fach unter mei­ne Sackdecke.

Wir gru­ben Schür­fen, die wie Brun­nen ohne Was­ser aus­sa­hen. Bei die­ser Käl­te gab es kein Was­ser im Boden. Die­se Brun­nen soll­ten 1,20 m lang und 80 cm breit sein und die Tie­fe bis zur fes­ten Stein­schicht, die wir manch­mal erst nach 45 m erreich­ten. Im Win­ter fiel die Tem­pe­ra­tur bis zu 60° unter Null. Einer nach dem ande­ren ver­letz­te sich selbst, um auf die Sani­täts­sta­ti­on zu kom­men. Man­che ver­letz­ten sich bei den Spren­gun­gen. Ent­we­der lie­ßen sie die bren­nen­de Schnur nicht recht­zei­tig los, oder sie lie­ßen die Zünd­kap­sel in der Hand explo­die­ren. Dabei wur­den die Hän­de oder die Fin­ger abge­ris­sen. Einer hack­te sich auch selbst die Fin­ger ab. Der Ande­re erfror sich die Füße ab. Bis März bestand unse­re Bri­ga­de nur noch aus 13 Arbei­tern. Wäh­rend der Arbeit riss die Haut unse­rer Hän­de bis auf die Kno­chen auf, des­halb zog ich mei­ne Hand­schu­he fast nie aus. Von dem stän­di­gen Hal­ten der Brech­stan­ge wur­den mei­ne Hand­flä­chen ganz krumm. Ich konn­te die Hän­de und die Fin­ger kaum aus­stre­cken, weil dann die Haut sofort auf­platz­te und stark blu­te­te. Auch an den Bei­nen hat­te ich tie­fe Wun­den. Das waren uner­träg­li­che Schmer­zen. Vie­le erkrank­ten an Skor­but. Wir pflück­ten im Früh­ling Prei­sel­bee­ren, denn sie heil­ten unse­re Wunden.

Ich war schon als Kind an die­se Käl­te gewöhnt, des­halb ver­such­te ich mei­ne Arbeit so gut wie mög­lich zu machen, denn ich hat­te nur einen Wunsch – schnell aus die­ser Höl­le weg zu kom­men. Ich arbei­te­te ger­ne allein, und oft war ich in mei­nen Gedan­ken bei mei­nem Dorf: Wo es im Win­ter auch sehr kalt war und viel Schnee lag, wo man als Kind mit selbst gebau­ten Schlit­ten, von den aus Was­ser und Schnee errich­te­ten Rutsch­bah­nen, hin­un­ter schlit­ter­te. Man bau­te die­se Rut­sche höher und kräf­ti­ger als die Freun­de. Wir pro­bier­ten alle Rut­schen aus und waren stolz, dass die eige­ne von allen die bes­te war. Wo man im Wald Hasen­fal­len auf­ge­stellt hat­te und trau­rig nach Hau­se kam, weil man kei­nen Hasen, geschwei­ge denn eine Maus gefan­gen hatte.
Ich schau­te oft hoch zum blau­en Him­mel und den dahin zie­hen­den Wol­ken und sag­te: „Grüßt mei­ne Mut­ter, Vater und mei­ne Geschwis­ter, ich lebe noch…“

Am 26. Sep­tem­ber 1953 kam Vater nach Hau­se. Er grün­de­te mit Kathe­ri­na geb. Pfaf­fen­roth eine Fami­lie und erzo­gen sechs Kin­der. Schon seit 1990 leben er und sei­ne Kin­der in Deutsch­land. Im Sep­tem­ber 2007 fei­er­te Vater sei­nen 80-jäh­ri­gen Geburts­tag. Wir wün­schen ihm alles Gute und vor allem sibi­ri­sche Gesundheit.

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